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DDR-Zeitzeuge zu Besuch

Zwei Schüler der Jahrgangsstufe 2 berichten von einem Vortrag des DDR-Zeitzeugens Mike Michelus an der it-schule

Am 26. Januar 2022 kam der Zeitzeuge Mike Michelus in unsere Schule. Er erzählte uns, wie er als Kind in der DDR aufgewachsen ist und von seinem Aufenthalt im Gefängnis.

Am Anfang erzählte er uns von seinen Vorfahren und wie sie oft umgesiedelt sind aufgrund des Zweiten Weltkrieges. Seine Mutter ging in die Schule und wurde Krankenschwester. In der Nachkriegszeit kam der kleine Mike am 16. Juli 1966 in Berlin Ost zur Welt. In seiner Schullaufbahn waren die Lehrer alle Kommunisten und haben zu seiner Erziehung sehr viel beigetragen, denn sie haben ihm kommunistische Werte eingepflanzt. Er war bei den Jungpionieren und Mitglied in der GST (Gesellschaft für Sport und Technik). Dort haben er und seine Kameraden im Sportunterricht militärische Trainingseinheiten absolviert, da man die jungen Leute auf einen unvermeidlichen Dritten Weltkrieg vorbereiten wollte. Zum Beispiel mussten sie über ein Seil, das entlang eines Flusses gespannt war, über den Fluss gelangen und gleichzeitig mit der anderen Hand mit einer Kalaschnikow schießen. Manchmal gab es auch Weitwurf, wo man mit echten russischen Handgranaten oder sogar Stielgranaten werfen musste. Einmal im Monat mussten die Schüler auch arbeiten. Michelus hatte Motoren von Rasenmähern zusammengebaut und dafür gab es eine praktische Note. Mit 14 Jahren hat er wie jeder andere Schüler im Jugendverein ein Buch geschenkt bekommen namens „Der Sozialismus – Deine Welt“. Für die Schüler war es wie eine Bibel, ein Buch fürs Leben mit politischen, geschichtlichen Aspekten und den Idealen der Kommunisten.

Dann sprach er von der Wehrpflicht in der DDR, der jeder nachkommen musste. Bei Verweigerung des Wehrdienstes gab es Haftstrafen. Nur wenn man überzeugter Christ war, konnte man in wenigen Fällen Bausoldat werden, die nicht an der Waffe tätig waren. Als Michelus noch Schüler und minderjährig war, kamen eines Tages Unteroffiziere auf ihn zu. Sie wollten, dass Michelus früher der Armee beitritt. Er aber wollte nicht. Daraufhin wurde er mit unangenehmen Fragen konfrontiert, wie zum Beispiel, ob er wolle, dass so etwas wie Ausschwitz nochmal geschehe. Letztendlich ist er der Armee beigetreten und wollte dort drei Jahre bleiben, hat sich aber nach schon einem Jahr entpflichtet.

Nach dem Abschluss der zehnten Klasse wurde er zum Abitur delegiert, was damals nur sehr wenige wurden. Er selbst und seine Eltern hatten darauf keinen Einfluss. Die Zeit im Gymnasium nannte er „Die Zeit der Ernüchterung“, denn er fing an, das gesamte kommunistische System zu hinterfragen, in dem er aufgewachsen war. Einmal schrieb Michelus an die Tafel, ob ihn jemand zur Blues-Messe begleiten wolle, da sich die Klasse kurz nach Schuljahresbeginn untereinander noch nicht kannte und sich so die Möglichkeit bot, sich besser kennenzulernen. Auf den ersten Blick etwas Legitimes, sofern man nicht wusste, was eine Blues-Messe war, nämlich ein Rockkonzert in einer Kirche. Als der Lehrer das Klassenzimmer betrat, wischte er die Frage an der Tafel weg und erkundigte sich, wer das geschrieben habe, was zu einem Nachspiel für Michelus führte. Was Michelus bis heute unfassbar findet, ist, dass er sich damals nicht einmal rechtfertigen konnte, sondern direkt bestraft wurde. Ein anderes Mal wollten die Schüler für ein Theaterstück proben und lernten dann die Texte dazu auswendig. Die Texte bestanden aus kommunistischen Zitaten, dennoch wurden aus irgendeinem Grund die Texte vom Schuldirektor verboten, was dann in Michelus nur noch mehr Skepsis gegenüber dem kommunistischen System hervorrief, sodass er zum Entschluss kam, dass er nicht mehr in dieses System reinpasste.

Er beschloss seinen wahren Interessen nachzugehen und widmete sich dem Umweltschutz, da er der Ansicht war, dass sich das Klima verschlechtert, was das kommunistische System leugnete. Heimlich hatte er Plakate an Bäume geheftet, obwohl es keine kaputten Bäume im Park gab, denn für ihn war es auch ein symbolischer Ausdruck des Protests, der ihm Stolz verlieh und den Mut, nicht wegzuschauen. Weil er eine Abneigung für das System empfand und die Leute insgeheim aufklären wollte, fing er an, provokative Flugblätter zu verteilen. Er verteilte sie immer schnell, nachdem er den Lehrer um Erlaubnis auf die Toilette zu gehen gefragt hatte, um rechtszeitig ohne Verdacht in den Unterricht zurückzukehren. Während der gymnasialen Zeit kam Michelus auch der Punk-Kultur immer näher. So lernte er seine drei besten Freunde, Ulli, Bernd und Jenny, kennen. Nur drei Monate vor dem Abitur hat er die Schule abgebrochen, denn er soll den Direktor angebrüllt haben.

Jenny war seine beste Freundin, sie hatten einen sehr guten Draht zueinander. Da Janny gegen das die DDR war, wollte sie einen Plan entwerfen, um in den Knast zu kommen und vom Westen freigekauft zu werden. Michelus war zwar weniger davon begeistert, begleitete sie aber trotzdem. Am 13. August 1985 haben sie ihren Plan umgesetzt. Janny saß auf der Straße, zerriss von der Tageszeitung die Aufschrift „Neues Deutschland“, hielt diese hoch und rief die Überschrift, um zu provozieren, aber ohne Erfolg. Eine Stunde später gingen sie gemeinsam zum Alexanderplatz, setzten sich auf dem Boden und lasen die Zeitung, was Aufsehen erzeugte, sodass ein Polizist endlich kam. Sie wurden beide verhaftet, nur gab es einen Haken bei dem Vorfall. Denn selbst ohne diese Aktion, wurde bereits am 10. August 1985, also drei Tage zuvor, ein Haftbefehl gegen die beiden eingeleitet, sodass sie beide unabhängig davon ins Gefängnis gekommen wären. Witzigerweise stand im Haftbefehl der § 214, der besagte, dass es verboten sei staatliche Organe zu beeinträchtigen, und da der Polizist durch die Aktion auf sie zugegangen ist, haben sie seine „Kontrolltätigkeit beeinträchtigt“, sodass beide eine Haftstrafe von drei Jahren bekamen.

Herr Michelus erzählte uns sehr wenig von seinem Gefängnisaufenthalt, da er nach drei Monaten vom Westen freigekauft wurde (Häftlingsfreikauf). Das hat den Grund, dass er im Endeffekt aus politischen Gründen ins Gefängnis gekommen war. Er erzählte uns noch, dass er eigentlich in Isolationshaft war und wer beim Morsen erwischt wurde, kam in eine sogenannte „Tigerzelle“. Dennoch gab es einen anderen Weg der Kommunikation mit anderen Insassen. Man nannte es „Klo-Telefon“. Man musste nur das Klowasser mithilfe von einem Lappen raussaugen, sodass das Klo vom Wasser entleert wurde. Dadurch waren die Rohre frei von Hindernissen, sodass man miteinander kommunizieren konnte, ohne erwischt zu werden. Ziemlich raffiniert und genial, wenn man sich die Geschichte bildlich vorstellt. Ironischerweise wurde er am 16.07.1986, also ausgerechnet an seinem Geburtstag aus dem Gefängnis freigekauft und entlassen. Die Gründe und wer genau den Antrag gestellt hat, sind bis heute unbekannt. Er bekam 13 Jahre Einreiseverbot in die DDR. Zusätzlich erwähnte er, dass man ohne Wenn und Aber direkt über die Grenze geschickt wurde und seine Sachen nicht mal packen durfte. Er kam also in der BRD in Häftlingsklamotten an.

Seine ersten Eindrücke in der BRD waren, dass es für ihn wie ein fremdes Land war. Es war für ihn, als wäre er zum Beispiel nach Asien geflogen, so fremd war ihm dort die Atmosphäre. Deshalb hatte er Schwierigkeiten, mit den Leuten dort klarzukommen. Es hat Jahre gebraucht, um sich an die Gesellschaft, die Politik und den Kapitalismus anzupassen. Seine beste Freundin Jenny wurde auch freigekauft und entlassen, sodass beide in der BRD zusammengezogen sind. Jenny nahm sich aus unbekannten Gründen mit 30 Jahren das Leben. Seine Familie, die in der DDR war, konnte er nur über das Telefon kontaktieren oder per Post.

Das war ein sehr interessanter Vortrag für uns Schüler und auch für die Lehrer. Wir bedanken uns bei Herrn Michelus, dass er uns seine Erfahrung mitgeteilt hat.

Antonios Zigkas, Tim Hornisch   TGI J2

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